Gunther Bunt und Fidi Ralla
Auf einer Waldlichtung, im Erlenwäldchen nahe von Nürnberg, gehen die Arbeiten am neuen Musiktheater rasch voran. Frau Theaterdirektorin Hella von Wahnsinn hat vor einem Jahr das alte, schon sehr in die Jahre gekommene Theater übernommen und beschlossen, es auf den neuesten Stand zu bringen. So musste die Bühne vergrößert und im Zuge dessen ein neuer Schnürboden installiert werden. Minimum zehn verschiedene Bühnenbilder müssen abseits der Drehbühne, die ebenfalls neu gebaut wurde, möglich sein. Neue Scheinwerfer und Bühnentechnik sowieso. Und weil sie schon dabei ist, wurden auch noch die Zuschauertribünen erweitert und neue, mit goldenem Brokat überzogene Theatersessel besorgt und eingebaut. Ein Orchestergraben darf auch nicht fehlen, denn wenn man schon in der Nähe von Nürnberg ein Theater führen darf, sollte unbedingt auch die Möglichkeit für Opernaufführungen gegeben sein, meint Hella. Zwei Monate vor Eröffnung startet Hella von Wahnsinn einen Aufruf an alle Vögel des Waldes. Ein neuer Name muss gefunden werden, denn sie findet den alten Namen, Orpheum unterm Erlenbaum, ziemlich abgeschnabelt. In Verbindung mit einem Preisausschreiben, ist das auch die beste Werbung für das neue Musiktheater, denkt sich Hella, denn sie hat schon fast das gesamte Budget ausgegeben. So beauftragt sie den bekannten Countertenor Russel Nightingale, er beherrscht 260 unterschiedliche Zwitschertypen von benachbarten Vögeln, zum Wettbewerb aufzurufen. Als Gewinn winken zwei Eintrittskarten für die Neueröffnung und den Saisonstart. Gespielt wird natürlich standesgemäß „Die Meisterzwitscherer von Nürnberg. Hella von Wahnsinn hat eine Jury aus Vogelgrößen der Bereiche Werbung, Kunst, Kultur, Musik und Politik zusammengestellt. Auch der Vogelscharmeister, als großer Unterstützer des neuen Musiktheaters, darf dabei nicht fehlen. Im nahegelegenen Gemeindeamt können nun die Blätter mit den Vorschlägen abgegeben werden. Fidi Ralla und Gunther Bunt, zwei passionierte Theatergeher und beste Freunde, freuen sich schon auf das neue Musiktheater. Die letzten Lenze mussten sie immer zum Tannenwald fliegen, um neue Theater- und Musikproduktionen sehen zu können und der liegt doch eine gute Flugstunde entfernt. Das war immer sehr anstrengend und nervenaufreibend, denn auf der Strecke zwischen Erlen- und Tannenwald herrscht reger Flugverkehr. Sie freuen sich schon sehr, dass nun in ihrer Vogelgemeinde das neueste Theaterhaus entstehen wird. Nächtelang diskutieren die beiden bei Birkensprudel mit Schuss und Haselnussmakronen über den neuen Namen. Sie wollen unbedingt gewinnen und als Ehrengäste auf der Tribüne sitzen. Viktoriatheater, meint Fidi, das heißt in einer anderen Sprache, siegesreich, das würde doch passen. Gunther meint jedoch, dass Gloriatheater, das für Ruhm und Ehre steht, besser passen würde. So diskutieren die beiden Nacht um Nacht hin und her. Bald ist Fidis Birkensprudel mit Schuss aufgebraucht und so muss Gunther seine eiserne Reserve an Holundergärung aus seiner Vorratskammer holen, damit weiteren Diskussionen nichts im Wege stehen würde. Erst am Abend vor Annahmeschluss kommt ihnen die zündende Idee, mit der beide einverstanden sind. Am kommenden Morgen fliegt Gunther mit dem ausgefüllten Blatt zum Gemeindeamt und gibt es noch in letzter Minute ab. Nun müssen die beiden warten bis an der Anschlagtafel der Gemeinde der Gewinner bekanntgegeben wird. Täglich treffen sie sich nun auf einen morgendlichen Haselnussshake, den es auf Knopfdruck im Gemeindeamt zu holen gibt, und warten auf den Aushang. Eines Morgens ist es nun soweit. Fidi sieht schon beim Anflug auf das Gemeindeamt, dass ein neues Blatt aufgehängt wurde. Sie fliegt hin und Gunther, der von der anderen Seite ebenfalls am Anflug ist, denn er wohnt am linken Waldesrand, beeilt sich vor ihr dort zu sein. Fast zeitgleich treffen sie ein und blicken gespannt auf das Blatt. Fidi zwitschert laut vor, die Gewinner sind, taratata, Fidi Ralla und Gunther Bunt. Sie können ihren Augen fast nicht trauen und Gunther zwitschert es noch einmal laut vor. Irrtum ausgeschlossen, meint Fidi, wir haben gewonnen. Sie zwitschern weiter was darunter steht, dass in den nächsten Tagen die Eintrittskarten per Eilflugpost kommen werden und der Bürgermeister ihnen herzlich gratuliert. Augenblicklich fliegen die beiden zu Gunther nach Hause, um den Gewinn mit einem kräftigen Schluck Holundergärung Grand Reserve aus der Lese von vor zwei Jahren zu begießen. Noch zwei Tage bis zur Eröffnung und beide sind schon sehr aufgeregt. Endlich, heute ist der ersehnte Eröffnungstag. Beide putzen sich mächtig heraus und Gunther nimmt sogar sein Monokel mit, damit er alles besser sehen kann, meint er. Fidi weiß aber genau, dass es dafür nur einen Grund gibt, er will schick aussehen und dass da ein Monokel einfach dazugehört, hat ihr Gunther schon bei ihren ersten Theaterbesuchen erklärt. Beim Betreten des Theaters werden sie bereits von Frau von Wahnsinn und dem Vogelscharmeister in Empfang genommen und zu den Ehrensitzen in der vordersten Loge geleitet. Beide bekommen ein Glas prickelnden Espenlaubsaft auf einem Silbertablett serviert . Als alle ihre Plätze eingenommen haben, geht das Licht aus und ein Spot fällt auf die Loge, in der Fidi und Gunther aufgeregt ihr Prickelwasser schlürfen. Hella von Wahnsinn nimmt das Mikrofon, begrüßt ihre Gäste und stellt Fidi und Gunther als die Gewinner und die genialen Köpfe des neuen Namens vor. Der Vogelscharmeister überreicht den beiden die goldene Feder der Gemeinde und mit einem taratata geht der Spot aus und auf der Bühne erscheint der neue Name des Theaters in Leuchtbuchstaben „Opera Vogelsang an der Erle zu Nürnberg“. Heftiges Flügelschlagen im Saal, Spot auf Fidi und Gunther, die mit leicht geröteten Wangen, ob vor Erregung oder vom Prickelwasser weiß man nicht, sich verneigend vom Publikum beklatschen lassen. Der Spot geht wieder aus und das Orchester beginnt mit der Ouvertüre des ersten Aktes der Meisterzwitscherer von Nürnberg und mit Licht auf den knallroten Bühnenvorhang, geht dieser auf und das Stück beginnt.