Unveröffentlichte Episoden aus dem Reiche Himmelblau 6

Die Reichsapfelernte – Empfang im Städtchen „Weitweg“

Die Sonne geht über den Palmen der kleinen Oase auf. Birger brütet bereits über der Karte und studiert die Reiseroute, denn es gilt noch ein kleines Stück Wüstenlandschaft zu überfliegen und berechnet genauestens die Reisezeit. Gestern war es spät geworden, denn Baron Wangenrot war mächtig am Feiern seiner, wie er meint, Wiedergeburt und war nicht zum Schlafen zu bewegen. Um keine neuerlichen Überraschungen zu erleben war Birger aufgeblieben, um etwaig Gröberes zu verhindern. Wangenrot war ziemlich in Fahrt gewesen und erzählte mit überschwänglichen Gesten und ausgesprochen ausführlich sämtliche für ihn wichtigen Ereignisse bis hin zur Jugendzeit und dabei flossen nebst Mangosaft auch jede Menge Hirsebier und Palmwein. Baron Wangenrot, der als Apfelmeister das brennen von Apfelschnaps gelernt hat, ist offensichtlich einiges an Alkoholischem gewöhnt, denn er wurde absolut nicht müde. Erst weit nach Mitternacht konnte er den Baron dazu überreden sein Nachtlager aufzusuchen. Jetzt schläft er wie ein Baby und klappert leise beim Ausatmen mit dem Schnabel, ein untrügliches Zeichen für tiefsten Tiefschlaf. Birger packt in den jetzt leeren Rucksack Wangenrots jede Menge Wasser und viel Obst für den Flug über die Wüste. Er beschließt den Rucksack selber zu tragen, denn Wangenrot wird erstens nach der durchwachten Nacht und dem Bierkonsum nicht in der Lage sein und zweitens möchte er so eine Situation wie gestern nicht aufs Neue heraufbeschwören. Friedrich, Balduin und Herr Beere sind nun ebenfalls wach. Frisch und vergnügt scharen sie sich um eine lange Tafel, die bereits von den Oasenbewohnern für die königlichen Herrschaften reich gedeckt wurde. Nur Baron Wangenrot schläft noch und klappert vor sich hin. Birger rüttelt ihn unsanft und hält ihm ein Glas frischen, mit Kräutern angereicherten und stark riechenden, Tomatensaft unter den Schnabel. Blitzartig öffnet er die Augen, denn der Geruch steigt ihm beißend in die Nase. „Aufstehen, Herr Baron, es ist Zeit zum Frühstücken, wir fliegen gleich“, pfeift Birger ihm laut entgegen. Baron Wangenrot schüttelt seine Federn und krächzt müde, „nicht so laut, etwas Kontenance und Rücksicht würde ich mir von Ihnen schon erwarten, wo ich doch gestern den Absturz nur knapp überlebt habe.“ Er hält sich wehklagend seinen Kopf und setzt sich zu den anderen. „Ich bekomme so früh am Morgen noch keinen Bissen hinunter“, konstatiert er gähnend und probiert den Tomatensaft. Heftig prustend und spuckend stellt er das Glas beiseite und meint, ein Glas Wasser würde ihm heute Morgen genügen, denn er wäre noch satt von gestern. Alle staunen nicht schlecht, denn Baron Wangenrot ist bekannt dafür, dass er sehr gerne und reichlich isst. Nur Birger versteht und blickt ihm wissend in die Augen worauf der Baron errötet und zum Abflug drängt. Sie bedanken sich für die Gastfreundschaft, verabschieden sich von ihren neuen Freunden den Störchen und verlassen die Oase in Richtung „Weitweg“. Der heiße Sandwind bläst ihnen unerbittlich in die Gesichter und die Luft flirrt vor Hitze, doch noch sind sie gestärkt und die Aussicht auf Weitweg beflügelt. Zügig geht die Reise weiter und auch Baron Wangenrot hält das Tempo, obwohl ihn Birger manchmal leise ächzen hört. Die Wegstrecke über die Wüste ist nicht sehr lang, denn bereits zu Mittag werden sie die Ausläufer erreicht haben und in der Steppenlandschaft ihre erste Rast abhalten. Baron Wangenrot, der während des Fluges reichlich Wasser getrunken hat ist froh als er schon von Weitem die Steppenlandschaft erspäht, denn er hat eine Pinkelpause dringend nötig und es regt sich auch schon mächtig der Hunger. Birger, der das Magengrimmen deutlich hören kann, ist ebenfalls glücklich gleich den Rastplatz erreicht zu haben, denn einen neuerlichen Kollaps des Barons würde er nicht verkraften können. Reichlich verschwitzt und hungrig erreichen sie das Steppenland und unter einem Bäumchen machen sie Rast. Baron Wangenrot stürzt sich hungrig auf die exotischen Köstlichkeiten und frisch gestärkt doziert er, nicht ohne reichlichen Ausschmückungen, über seinen gestrigen Überlebenskampf. Birger, der gestern ohnedies sämtliche Varianten des Wüstendesasters mitanhören musste, ist genervt und zieht sich, die Karte studierend, von der Gruppe zurück. Die anderen stärken sich ausgiebig und die Burschen lachen schallend über die Anekdoten Wangenrots, nur Johannes von und zu Beere schweigt und denkt sich seinen Teil. Anschließend geht es weiter und das Ziel, das Städtchen „Weitweg“ würde bald erreicht sein. Aufgeregt fliegen sie rasch und ohne Unterbrechung weiter. Es ist früher Nachmittag als ihnen bereits der Wind einen frischen Apfelduft in ihre Nasen weht. Weitweg, die Stadt der Reichsapfelproduktion, liegt vor ihnen, eingebettet in eine Mulde und umringt von herrlich duftenden Apfelbäumen. Zahlreiche Apfelpflücker aus allen Herren Ländern sind emsig bei der Apfelernte. Fasziniert fliegen sie in die Stadt und unverzüglich zum Apfelbüro. Dort erwartet sie schon Adam Kuckuck und der Vogelmeister der Stadt. Das war ein Hallo und ein Flügelgeklopfe. Adam Kuckuck ist sichtlich erleichtert die königliche Reisegesellschaft wohlauf begrüßen zu können. Der Vogelmeister zeigt ihnen ihre Quartiere, die äußerst standesgemäß hergerichtet wurden und bittet sie sich auszuruhen, denn am Abend sei ein großes Fest zu ihren Ehren geplant. Baron Wangenrot, überaus glücklich sich etwas hinlegen zu können, verschwindet sofort in seinem Zimmer. Die Burschen mischen sich währenddessen unters Volk und zeigen ihre Flügelballkünste. Übermütig jonglieren sie zwischendurch mit Äpfeln und Reifen und werden von den Zuschauern ausreichlich mit Applaus bedacht. Man muss über den Prunk, das köstlich delikate Mahl, den reichlichen Ovationen, nicht viele Worte verlieren, denn man kennt ja die rauschenden höfischen Feste. Nicht nur Baron Wangenrot war äußerst entzückt, gerührt und begeistert über das Dargebotene. So geht eine äußerst abenteuerliche Reise seinem Ende zu und die Apfelernte kann beginnen.

Autor: admin

geboren in Hallein/Salzburg, lebt und arbeitet derzeit in Linz. Malerei, Skulpturen, Ornamentarbeiten, Bücher und Kurzgeschichten

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