Unveröffentlichte Episoden aus dem Reiche Himmelblau 6

Die Reichsapfelernte – Empfang im Städtchen „Weitweg“

Die Sonne geht über den Palmen der kleinen Oase auf. Birger brütet bereits über der Karte und studiert die Reiseroute, denn es gilt noch ein kleines Stück Wüstenlandschaft zu überfliegen und berechnet genauestens die Reisezeit. Gestern war es spät geworden, denn Baron Wangenrot war mächtig am Feiern seiner, wie er meint, Wiedergeburt und war nicht zum Schlafen zu bewegen. Um keine neuerlichen Überraschungen zu erleben war Birger aufgeblieben, um etwaig Gröberes zu verhindern. Wangenrot war ziemlich in Fahrt gewesen und erzählte mit überschwänglichen Gesten und ausgesprochen ausführlich sämtliche für ihn wichtigen Ereignisse bis hin zur Jugendzeit und dabei flossen nebst Mangosaft auch jede Menge Hirsebier und Palmwein. Baron Wangenrot, der als Apfelmeister das brennen von Apfelschnaps gelernt hat, ist offensichtlich einiges an Alkoholischem gewöhnt, denn er wurde absolut nicht müde. Erst weit nach Mitternacht konnte er den Baron dazu überreden sein Nachtlager aufzusuchen. Jetzt schläft er wie ein Baby und klappert leise beim Ausatmen mit dem Schnabel, ein untrügliches Zeichen für tiefsten Tiefschlaf. Birger packt in den jetzt leeren Rucksack Wangenrots jede Menge Wasser und viel Obst für den Flug über die Wüste. Er beschließt den Rucksack selber zu tragen, denn Wangenrot wird erstens nach der durchwachten Nacht und dem Bierkonsum nicht in der Lage sein und zweitens möchte er so eine Situation wie gestern nicht aufs Neue heraufbeschwören. Friedrich, Balduin und Herr Beere sind nun ebenfalls wach. Frisch und vergnügt scharen sie sich um eine lange Tafel, die bereits von den Oasenbewohnern für die königlichen Herrschaften reich gedeckt wurde. Nur Baron Wangenrot schläft noch und klappert vor sich hin. Birger rüttelt ihn unsanft und hält ihm ein Glas frischen, mit Kräutern angereicherten und stark riechenden, Tomatensaft unter den Schnabel. Blitzartig öffnet er die Augen, denn der Geruch steigt ihm beißend in die Nase. „Aufstehen, Herr Baron, es ist Zeit zum Frühstücken, wir fliegen gleich“, pfeift Birger ihm laut entgegen. Baron Wangenrot schüttelt seine Federn und krächzt müde, „nicht so laut, etwas Kontenance und Rücksicht würde ich mir von Ihnen schon erwarten, wo ich doch gestern den Absturz nur knapp überlebt habe.“ Er hält sich wehklagend seinen Kopf und setzt sich zu den anderen. „Ich bekomme so früh am Morgen noch keinen Bissen hinunter“, konstatiert er gähnend und probiert den Tomatensaft. Heftig prustend und spuckend stellt er das Glas beiseite und meint, ein Glas Wasser würde ihm heute Morgen genügen, denn er wäre noch satt von gestern. Alle staunen nicht schlecht, denn Baron Wangenrot ist bekannt dafür, dass er sehr gerne und reichlich isst. Nur Birger versteht und blickt ihm wissend in die Augen worauf der Baron errötet und zum Abflug drängt. Sie bedanken sich für die Gastfreundschaft, verabschieden sich von ihren neuen Freunden den Störchen und verlassen die Oase in Richtung „Weitweg“. Der heiße Sandwind bläst ihnen unerbittlich in die Gesichter und die Luft flirrt vor Hitze, doch noch sind sie gestärkt und die Aussicht auf Weitweg beflügelt. Zügig geht die Reise weiter und auch Baron Wangenrot hält das Tempo, obwohl ihn Birger manchmal leise ächzen hört. Die Wegstrecke über die Wüste ist nicht sehr lang, denn bereits zu Mittag werden sie die Ausläufer erreicht haben und in der Steppenlandschaft ihre erste Rast abhalten. Baron Wangenrot, der während des Fluges reichlich Wasser getrunken hat ist froh als er schon von Weitem die Steppenlandschaft erspäht, denn er hat eine Pinkelpause dringend nötig und es regt sich auch schon mächtig der Hunger. Birger, der das Magengrimmen deutlich hören kann, ist ebenfalls glücklich gleich den Rastplatz erreicht zu haben, denn einen neuerlichen Kollaps des Barons würde er nicht verkraften können. Reichlich verschwitzt und hungrig erreichen sie das Steppenland und unter einem Bäumchen machen sie Rast. Baron Wangenrot stürzt sich hungrig auf die exotischen Köstlichkeiten und frisch gestärkt doziert er, nicht ohne reichlichen Ausschmückungen, über seinen gestrigen Überlebenskampf. Birger, der gestern ohnedies sämtliche Varianten des Wüstendesasters mitanhören musste, ist genervt und zieht sich, die Karte studierend, von der Gruppe zurück. Die anderen stärken sich ausgiebig und die Burschen lachen schallend über die Anekdoten Wangenrots, nur Johannes von und zu Beere schweigt und denkt sich seinen Teil. Anschließend geht es weiter und das Ziel, das Städtchen „Weitweg“ würde bald erreicht sein. Aufgeregt fliegen sie rasch und ohne Unterbrechung weiter. Es ist früher Nachmittag als ihnen bereits der Wind einen frischen Apfelduft in ihre Nasen weht. Weitweg, die Stadt der Reichsapfelproduktion, liegt vor ihnen, eingebettet in eine Mulde und umringt von herrlich duftenden Apfelbäumen. Zahlreiche Apfelpflücker aus allen Herren Ländern sind emsig bei der Apfelernte. Fasziniert fliegen sie in die Stadt und unverzüglich zum Apfelbüro. Dort erwartet sie schon Adam Kuckuck und der Vogelmeister der Stadt. Das war ein Hallo und ein Flügelgeklopfe. Adam Kuckuck ist sichtlich erleichtert die königliche Reisegesellschaft wohlauf begrüßen zu können. Der Vogelmeister zeigt ihnen ihre Quartiere, die äußerst standesgemäß hergerichtet wurden und bittet sie sich auszuruhen, denn am Abend sei ein großes Fest zu ihren Ehren geplant. Baron Wangenrot, überaus glücklich sich etwas hinlegen zu können, verschwindet sofort in seinem Zimmer. Die Burschen mischen sich währenddessen unters Volk und zeigen ihre Flügelballkünste. Übermütig jonglieren sie zwischendurch mit Äpfeln und Reifen und werden von den Zuschauern ausreichlich mit Applaus bedacht. Man muss über den Prunk, das köstlich delikate Mahl, den reichlichen Ovationen, nicht viele Worte verlieren, denn man kennt ja die rauschenden höfischen Feste. Nicht nur Baron Wangenrot war äußerst entzückt, gerührt und begeistert über das Dargebotene. So geht eine äußerst abenteuerliche Reise seinem Ende zu und die Apfelernte kann beginnen.

Unveröffentlichte Episoden aus dem Reiche Himmelblau 5

Die Reichsapfelernte – Heißer Wüstensand

Die Nacht in Felsland war angenehm kühl und die königliche Reisegesellschaft ist früh morgens, nach einem kleinen Frühstück aus Wangenrots Rucksack, gestärkt losgeflogen. Sie haben die Berge bereits hinter sich gelassen und die Landschaft, die anfänglich noch grün war, wechselte in trockenes Steppenland. Birger hatte noch am Vorabend alle Flaschen mit frischen Wasser aus dem Bächlein gefüllt, denn auf der Karte war kein Fetzelchen mit Blau eingezeichnet und das bedeutet, kein Wasser weit und breit. Schwitzend fliegen sie nun über gelben Sand und selbst der Wind ist heiß und sandig. Baron Wangenrot, beladen mit zwei Rucksäcken, jammert leise, mit geschlossenen Schnabel, denn der hasst Sand zwischen seinen Zähnen, vor sich hin. Er schwitzt so, dass kleine Rinnsale über seinen heißgeliebten Proviantrucksack laufen. Johannes von und zu Beere hat sich sicherheitshalber seinen Zylinder auf den Kopf gesetzt, um sich vor der Sonne schützen zu können. Selbst die Jungs scheinen unter der Hitze zu leiden, denn ihr ansonsten lustiges Gezwitscher ist schon seit einiger Zeit verstummt. Birger nimmt die Karte aus seiner Rucksacktasche. Noch ungefähr zwei Stunden, dann werden sie die in der Karte mit grün und blau eingezeichnete Fläche erreicht haben. Das ist eine Oase, hatte ihm Baron Wangenrot am Vorabend erklärt und dort gibt es Wasser und etwas zu Essen, dozierte er besserwisserisch. Zwei Stunden, das scheint selbst Birger, der ein guter Flieger ist, noch ein weiter Weg zu sein, denn die Hitze setzt allen mächtig zu. An eine Rast ist auch nicht zu denken, denn der Sand ist zu heiß und es bestünde die Gefahr sich beim Setzten die Schwanzfedern zu verbrennen. Zu Gefährlich, reüssiert Birger und versucht mit kleinen Pirouettendrehungen, seinen Mitstreitern Fröhlichkeit vorzugaukeln. Baron Wangenrot, dem Birgers Flugvorführungen zuwider sind, denn er selbst ist einem Kollaps nahe, fliegt nun ächzend und schnaubend an Birger vorbei, um sein Getue nicht mitansehen zu müssen. Das dürfte für Baron Wangenrot wohl zu viel gewesen sein, denn er stürzt kopfüber nach unten, landend bäuchlings auf seinem Proviantrucksack im Sand und strampelt hilflos mit seinen Beinen. Geschockt blicken alle ratlos nach unten. Birger, der als Erster wieder einen klaren Gedanken fassen kann, fliegt zu ihm hinunter und versucht unter heftigem Geflatter und Gezerre am hinteren Rucksack, Baron Wangenrot zum Aufstehen zu bewegen. Doch da fällt ihm ein, dass dies ja keine gute Idee sei und denkt wieder an die Schwanzfedern. Er winkt die anderen herbei und nun ziehen alle, unter dem Kommando von Birger, an seinem Rucksack. Hauruck, Hauruck, Hauruck, doch Wangenrot ist zu schwer und er selbst zu entkräftet, um bei dieser Aktion mithelfen zu können. Birger befiehlt allen ihre Rucksäcke abzuwerfen und sich auf diese zu setzen, denn das wäre die einzige Möglichkeit dem heißen Sand zu entgehen, ruft er ihnen mit letzter Kraft zu. Gesagt, getan. Nun sitzen alle völlig entkräftet auf ihrem Gepäck und Johannes von und zu Beere, der bei der Rettungsaktion seinen Zylinder verloren hat, schaut diesem völlig verwirrt nach, wie er nun fröhlich hüpfend vom Winde wegetragen wird. Birger lässt eine Flasche Wasser durch die Runde gehen, es ist die Letzte und würde sie nicht mehr lange versorgen können. An Essen ist auch nicht zu denken, denn Baron Wangenrot liegt ja bäuchlings darauf, also was nur tun? Gedankenverloren, Horrorszenarien spielen sich in ihren Köpfen ab, verharrt die Gruppe sich nicht rührend auf ihren Rucksäcken, als plötzlich ein lautes Gekrächze aus der Ferne zu hören ist. Schon von Weitem sehen sie eine kleine Schar Vögel auf sich zukommen. Baron Wangenrot, der aus seiner Position nichts sehen kann, zittert vor Angst. Mit letzter Kraft Zwitschernd, versuchen sie auf sich aufmerksam zu machen und es gelingt, denn die Vogelgruppe dreht ab und landet neben ihnen im Sand. Es sind Störche, die gerade am Weg in den Süden sind und denen, Himmel sei Dank, der heiße Sand nichts ausmacht. Johannes von und zu Beere, der in seinem Gartengestaltungslehrgang den Storch Adebar kennenlernen durfte und dadurch etwas storchisch krächzen kann, weist sie auf ihre missliche Lage hin. Alle staunen nicht schlecht, als sie dazu angehalten werden sich mitsamt ihrem Gepäck auf deren Rücken zu setzen. Friedrich und Balduin dürfen auf den Rücken des Anführers der Gruppe. Baron Wangenrot wird einfach am Rucksack geschnappt und schnablings getragen. Da er noch immer nichts gesehen und die Sprache überhaupt nicht verstanden hat, wehrt er sich flügelschlagend und man sieht am Rot seiner Wangen, dass er schreckliche Angst hat. Birger erklärt ihm noch im Abflug die Situation und schon sind sie alle in luftiger Höhe. So hoch war bislang noch keiner von ihnen geflogen. Friedrich und Balduin, die sich an der Spitze der Gruppe befinden, zwitschern fröhlich am Rücken des Anführers hüpfend. Baron Wangenrot hängt kleinlaut am Schnabel seines Storches und schließt vorsichtshalber seine Augen, denn es ist ihm vor Hunger und Höhenangst bereits schlecht geworden. Nach einigen Flugminuten sieht Johannes von und zu Beere ganz unten und ganz klein ein kleines hüpfendes grünes Ding und weiß, dass dies sein Zylinder ist. Missmutig blickt er hinunter und denkt an Florenz, an das schöne Geschäft, die nette und hübsche Bedienung die ihm diesen Hut empfohlen hatte und kleine Tränchen kullern ihm über den Schnabel. Doch da, einer der Störche löst sich aus dem Verbund und fliegt im Sturzflug nach unten, dem Hut hinterher. Er ergreift ihn flugs und bringt ihn zu Herrn Beere, der vor Rührung und Freude weitere Tränchen vergießt. Es dauert keine zwei Stunden, denn die Störche sind erfahrene Langstreckenflieger, erreichen sie die Oase, deren herrliches Grün schon von Weitem zu sehen und deren Duft förmlich zu Riechen war. Man kann sich die Freude vorstellen, als sich die fünf Bruchpiloten sogleich ins herrliche Nass stürzen. Sogar Baron Wangenrot verliert kurzzeitig seine höfische Kontenance und plantscht vergnügt im kühlen Strahl des Wasserfalls. Anschließend laden die Störche zum Diner und das ist sehr gut, denn der Proviant in Wangenrots Rucksack hatte sehr unter seiner Last gelitten und alles, außer die Gläschen mit Marmelade, Pesto und Antipasti, ist völlig zermanscht. „Vorzüglich, delikat, aromatisch, ein kulinarischer Hochgenuss“, schmettert Baron Wangenrot, mit herrlich kühlem Mangosaft zuprostet, in die Runde. „Ein wahrlich königliches Diner“, tiriliert er freudig und verschenkt seine köstlichen Gläschen huldvoll an ihre Retter.

Unveröffentlichte Episoden aus dem Reiche Himmelblau 4

Die Reichsapfelernte – Der Flug über die Berge

Die königliche Reisegesellschaft hat die Grenzen des Reiches Himmelblau verlassen und unter ihnen liegt nun Dragoland. Riesige Mammutbäume, Sumpflandschaften in denen sich Krokodile in der Sonne aalen und kleine Teiche mit außergewöhnlich bunten und bizarren Fischen. „Na, Herr Birger“, meint Baron Wangenrot von oben herab, „das wäre wohl weder ein guter Lagerplatz, noch ein entsprechendes Jagdrevier gewesen. Hier wären wohl Sie der Gejagte und wohl kaum der Jäger.“ Birger nickt und ist froh. „Es sind nicht die großen Drachen die hier gefährlich sind, denn diese sind Vegetarier, es sind die Kleinen die einem gefährlich werden könnten“, erklärt er weiter. Friedrich und Balduin müssen unweigerlich an ihre sonderbare Begegnung beim Jagen des Geburtstagsblaustreifenfisches für ihre Mutter denken, denn da hatten sie zum ersten Mal einen Drachen gesehen. Er war es, der ihren Streit um den Fisch geschlichtet hatte indem er ihnen einen Zweiten schenkte. Noch nie haben die beiden über dieses Ereignis gesprochen, denn sie hatten Bedenken, dass ansonsten ihre Mutter sie aus Sorge nicht mehr aus der Voliere lassen würde. Sie blicken sich an und ihre Blicke sagen, dass dies auch weiterhin so bleiben sollte. Hinter Dragoland erheben sich hohe Gebirgsmassive die teilweise mit Schnee bedeckt sind. „Felsland“, stottert Birger, denn noch nie hatte er die großen Felsen gesehen. Er kennt sie nur aus Erzählungen seines Großvaters, der ein großer Abenteurer war und vor vielen, vielen Jahren eine Nacht mit den Bergdohlen bei eisiger Kälte am Gipfel eines dieser Berge zugebracht hatte. Er hätte nicht überlebt, erzählte er theatralisch, wenn ihn nicht die Bergdohlen sprichwörtlich unter ihre Fittiche genommen und ihn somit gewärmt hätten. An dieser Stelle zeigte ihm sein Großvater immer seinen linken Fuß, an dem eine Kralle fehlte, die ihm in dieser Nacht abgefroren war. Birger schüttelt sich, um sich von den Gedanken an Großvaters Erlebnisse zu befreien. Die Sonne steht bereits tief und bald würde sie hinter dem kleineren der Felsgipfeln verschwinden. Sie hatten bei der letzten Rast Zeit verloren und so werden sie wohl oder übel hier in der kargen Landschaft nächtigen müssen, denkt sich Birger und es gruselt ihm leicht bei dem Gedanken und auch, weil hier kein Teich in seiner Karte eingezeichnet ist. Baron Wangenrot, der den Weg schon einmal geflogen war, lästert und meint zynisch, was es denn heute Abend wohl zum Schnabulieren geben würde, denn er hätte keine Lust auf Flechten und Moos, da er kein Vegetarier sei. Birger ist etwas ratlos, fliegt aber unbeirrt weiter. Bei einem Felsvorsprung, den er als Nachtlager auserkoren hat, landen sie. Johannes von und zu Beere, der das schwerste Gepäck zu tragen hat, stöhnt leise und legt sorgsam den Rucksack mit dem vermeidlich königlichen Inhalt in eine Felsmulde und seufzt dabei erleichtert. Die Jungs, unbeirrt und durch ihr tägliches Training wohl körperlich sehr trainiert, nehmen ihre, von Florinda sorgsam bemalte Fischblase, und spielen zur Entspannung etwas Flügelball. Baron Wangenrot, müde und hungrig, bezieht sein Lager neben Herrn von und zu Beere in der Hoffnung, doch noch an seinen Rucksack zu kommen. Hungrig blickt er in seine Richtung und es läuft ihm dabei unwillkürlich das Wasser im Schnabel zusammen. Birger hingegen sucht die Umgebung nach Essbaren ab, immerhin ist er der Jäger und sollte dafür sorgen, dass immer genug Fisch auf den Tisch kommt. Unweit der Lagerstätte entdeckt er ein kleines Rinnsal, das über die Felsen gurgelt. Erleichtert, denn das verspricht Fisch, landet Birger am Ufer. Doch es ist weit und breit kein Fisch zu sehen. Birger, der sehr aufmerksam ins Wasser starrt, entdeckt eine Bewegung hinter einem kleinen Felsen. Flusskrebse tummeln sich hier und Birger ist erleichtert. Er schnallt sich den Rucksack vom Rücken, den er in weiser Voraussicht bereits beim Lager entleert hatte, und pickt flink, denn Krebse sind nicht dumm, einen nach dem anderen aus dem Wasser und verstaut sie im Rucksack. Mit reichlicher Beute fliegt er und das sehr schnell, denn die Krebse zwicken ihn ziemlich unangenehm in den Rücken, zurück zum Lager. Johannes von und zu Beere hat noch kein Feuerchen gemacht, denn auch er rechnete nicht mit Beute. Sein Magen hatte sich schon auf „Korvapuusti“ eingestellt. Als er Birger beladen ankommen sieht, beginnt er die Feuerstelle einzurichten und rasch ein Feuerchen zu entfachen. Baron Wangenrot, hungrig und neugierig, inspiziert sogleich den Rucksack. Er kann gar nicht so schnell reagieren und schon hat sich ein Krebs an seinem Schnabel festgezwickt. Auch heftiges schütteln und rütteln hilft nichts, der Krebs hängt fest. Herr von und zu Beere muss eingreifen, um ihn von seiner misslichen und lächerlichen Lage zu befreien. Alle krümmen sich vor Lachen und Baron Wangenrots Gesichtsfarbe verändert sich, wie sein Name schon sagt, in ein tiefes Rot. Das ist ihm außerordentlich zuwider und er verzieht sich peinlichst berührt in eine Ecke des Felsvorsprungs. Friedrich und Balduin holen mit einem Blechtopf Wasser vom Bächlein und Birger kocht darin die Krebse. „Ah, dazu würde ein Maisbrötchen mit Basilikumaufstrich und Erdbeergelee als süße Note vortrefflich schnabeln“, denkt schwärmerisch Baron Wangenrot und wirft schmachtende Blicke zu seinem Rucksack. Diese Blicke und sein lautes Magenknurren sind dem aufmerksamen Herrn Beere nicht entgangen und er schaut seinerseits in Richtung Rucksack. Als sich die Blicke der beiden treffen versteht Herr von und zu Beere allzu gut, was er denn die ganze Zeit schwerlich mittragen musste. Wangenrot, der sich ertappt fühlt, senkt seinen Blick und seine Wangen erglühen wieder im tiefsten Rot, womit er seine Vermutung bestätigt sieht. „Na gut Baron, zeigen sie uns den Inhalt Ihres Rucksackes“, zwitschert leicht erbost jedoch die höfische Kontenance nicht verlierend, Herr Beere. Langsam schleicht Wangenrot zum Rucksack und stellt ihn in die Mitte der erstaunten Runde, die von dem Vorgang nichts mitbekommen hat. Wangenrot öffnet ihn und zaubert daraus die herrlichsten Köstlichkeiten. Erleichtert lachen alle, klopfen ihm auf die Schulter und freuen sich. Baron Wangenrot, der seine Fassung wiedererlangt hat, meint nur trocken, „ich habe eben vorgedacht und mit Weitblick vorgesorgt.“ Alle schütteln sich vor Lachen, laben sich an dem herrlichen, fast schon königlichen Mahl und sind glücklich und zufrieden. Nur Baron Wangenrot nicht, denn die Blicke von Herrn Beere sagen ihm allzu deutlich und unmissverständlich, dass er ab morgen seinen Rucksack werde selber tragen müssen und das schmerzt ihn zutiefst.

Unveröffentlichte Episoden aus dem Reiche Himmelblau 3

Die Reichsapfelernte – Unerwartete Herausforderungen

Zur Mittagszeit hat die königliche Fluggemeinschaft bereits die Grenze des Reiches Himmelblau erreicht und Birger, der gemeinsam mit Baron Wangenrot die Spitze der Schar übernommen hatte, denn er besitzt ja den Flugplan und Wangenrot vermeidlich die Kenntnisse der Route, setzt zur Landung an. Eigentlich wollte er erst beim Drachenfischteich im angrenzenden Dragoland halt machen, um die Gruppe mit frischem schmackhaften Schlammhimmelsguckern und Krokodilzahnfischen zu versorgen, doch Baron Wangenrot, dem erstens der Magen bereits unglaublich knurrt und zweitens auch wähnt, dass es dort viel zu gefährlich sei, veranlasst Birger noch in heimatlichen Gefilden die erste Rast abzuhalten. Leider ist kein Teich weit und breit in Sicht und Birger holt für die erste Stärkung die „Korvapuusti“, die ihm Finnja dankenswerterweise noch am Morgen zugesteckt hatte, aus seinem Rucksack. Friedrich und Balduin schnabeln mit Freude das herrliche Zimtgebäck und während noch Baron Wangenrot und Johannes von und zu Beere über die schlechte Versorgung mosern, haben die Burschen sich einen Fischblasenball geschnappt und trainieren ihr Flügelspiel. Schließlich dient dieses ja als Sicherheits- und Geschicklichkeitsübung für die richtige Handhabung des Reichsapfels. Baron Wangenrot der zu gerne einige Köstlichkeiten aus seinem geheimen Gepäck schnabuliert hätte ist ungehalten ob der Situation, keinen ordentlicher Fisch zu bekommen und ebenso, dass kein Herankommen an seinen Rucksack möglich ist, denn diesen hat ob der Wichtigkeit des vermeidlich königlichen Inhaltes, Johannes von und zu Beere unter seine Fittiche genommen. Das bedeutet somit auch, kein ordentliches Mittagessen in unmittelbarer Sichtweite. Birger, der die Position als Rotstreifenfischoberfangmeister innehat, er hatte sich in der Nacht zuvor die Wegstrecken zu den Fischteichen berechnet und seine Versorgungsstellen peinlichst genau notiert, ist mit dieser Situation leicht überfordert. Griesgrämig betrachtet er seinen Reiseplan und beschließt sich auf den Weg zum Fluss, der hundertfünfzig Flügelschläge entfernt das Land der Grüngefiederten durchquert, zu machen, um dort sein Glück zu versuchen. Rasch leert er seinen Rucksack, denn diesen benötigt er zum Fischtransport und macht sich auf. Bald hat er den Fluss erreicht und hält Ausschau nach Fischen. Gut, dass er in diesem Land aufgewachsen ist und in seiner Jugend in Flüssen zu fischen gelernt hat, jedoch es fehlt ihm etwas an Übung. Währenddessen warten Baron Wangenrot, dessen Magen bereits so laut knurrt das eine Unterhaltung fast unmöglich macht, und Herr von und zu Beere ungeduldig auf seine Rückkehr. Die Burschen üben unermüdlich ihr Flügelspiel und stellen sich schon richtig geschickt an. Das Training mit Baron Schwingenschlögel und die Übungen mit den Lappeenranta-Drillingen haben sich bezahlt gemacht, reüssiert Johannes von und zu Beere, auch wenn er leidvoll an die Fischblasenfetzen die unschön die Eingangshalle zierten, denken muss. Birger, der nach einigen misslungenen Anläufen nun den ersten Schrätzer und gleich darauf einen Zingel, beides schmackhafte Flussfische, fangen konnte ist motiviert und sein Jagdtrieb läuft nun auf Hochtouren. Mit vollem Rucksack, etwas zerzaust aber absolut stolz, fliegt er zurück zu seiner hungrigen Truppe. Baron Wangenrot, der sich doch dazu herabgelassen hatte ein Zimtbrötchen zu essen, denn es war ihm schon leicht schlecht geworden, liegt in bequemer Seitenlage als Birger mit seinem Fang zur Gruppe stößt. Gut, dass Herr Beere bereits geistesgegenwärtig eine kleine Feuerstelle gebaut und ein Feuerchen entfacht hatte, denn so kann es gleich an die Zubereitung gehen. Auf vorbereiteten Zweigen werden die Fische gespießt und anschließend als Steckerlfisch serviert. Die kleine Campinggruppe labt sich königlich am reichlichen Fang, nur Baron Wangenrot ist nicht ganz zufrieden über das Mahl da es ihm an Beilagen mangle, meint er und denkt verdrossen an seinen Proviant der für ihn so unerreichbar geworden ist.

Aus meinem Buch BEONIMUS RABENBEIN erzählt „Seemannsgarn & Küchenlatein“

Petri Heil

Schon früh am Morgen macht sich König Schnabelfroh auf zur allwöchentlichen Reichsbesichtigung. Er schultert seinen Reichsapfel, rückt seine Krone zurecht und fliegt los. Am Vortag hatte es ein heftiges Gewitter gegeben und der Wasserstand seiner Teiche ist heute besonders hoch. Der kleine Rosatupffischteich ist sogar etwas über die Ufer getreten. Der wundervoll blaue und wolkenlose Himmel verheißt wieder tolles Bade- und Fischfangwetter. Noch stehen kleine Nebelschwaden und Schwärme von Mücken über den Teichen und seine Fische laben sich am reich gedeckten Tisch. Fröhlich springen sie aus dem Wasser und nehmen ihr frühmorgendliches Mückenfrühstück ein. König Schnabelfroh notiert: Hoffischfangjäger mit dem Fischfang am Rotstreifenfischteich beauftragen, um die königliche Vorratskammer wieder etwas aufzufüllen. Er fliegt zum kleinen Wäldchen und weiter an die nördliche Grenze seines Reiches. Schon von Weitem hört er ein Geräusch, das hier noch nie zu hören war. Er fliegt vorsichtig und langsam, denn man kann ja nie wissen was einem erwartet, weiter in die Richtung von der er das Rauschen ortet und in der sich sein Blaustreifenfischteich und der kleine nördliche Grenzfelsen befindet. Er staunt nicht schlecht als er dort angekommen vor einem fröhlich sprudelnden Wasserfall steht. Der Wasserfall mündet geräuschvoll in seinen Blaustreifenfischteich. Der starke Regen dürfte wohl ein Loch in das Gestein gespült und so die unterirdische Mündung des Flusses mit Geröll verschlossen haben. Nun plätschert er ungestüm über seinen Grenzfelsen. Die Fische freuen sich offensichtlich über die Abwechslung und springen den Wasserfall hinauf, um sich anschließend kopfüber in den Teich zu stürzen. Ein herrlicher Anblick und König Schnabelfroh schaut überaus fasziniert dem spielerischen Treiben seiner Fische zu. Blitzschnell kommt ihm eine geniale Idee und er fliegt schnurstracks zurück zur königlichen Voliere. Leise schleicht er in die Küche, gut dass Anton sein Leibkoch noch zu schlafen scheint, geht in die Vorratskammer und holt sich einen aus Draht geflochtenen Korb in dem Anton ansonsten die Fische zum trocknen aufhängt. So ausgerüstet fliegt er zurück zum kleinen Wasserfall. Seine Frau Rosaschnabel liebt kross gebratene Blaustreifenfische und mit diesen will er sie heute zum Frühstück überraschen, Reichsbesichtigung hin oder her, ein König muss tun was er tun muss. Er wartet den richtigen Zeitpunkt ab und beim vermeidlichen Kopfsprung der Fische in den Teich hält er einfach den Korb unter den Wasserfall. Kopfüber landen die verdutzen Fische im Drahtgestell. König Schnabelfroh, überaus stolz ob seines kreativen Einfalls und über den Fang schultert den Korb, wohlweislich hatte er seinen Reichsapfel zu Hause gelassen, und fliegt mit seiner reichlichen Beute zurück zur königlichen Voliere. Anton staunt nicht schlecht, als sein König ihm die Fische auf den Tisch stellt und ihn bittet sie zum Frühstück zuzubereiten. Müde macht er sich ans Werk, denn er ist heute etwas später aufgestanden, da er das königliche Frühstück bereits am Vortag vorbereitet hatte. Es sollte nämlich Würmchenaufstrich auf frischen Maisbrötchen, die er bereits in den Ofen gesteckt hatte, Feldsalädchen mit Nusstopping, Zucchini-Gazpacho und geräucherten Rosatupffisch geben. Gähnend schuppt er die Fische und der Gedanke, dass sein König möglicherweise nicht nur seine Gemahlin überraschen will, sondern selbst keine Lust auf Rosatupffisch hat, denn diese sollte er laut Königin Rosaschnabel figurtechnisch zu sich nehmen, lässt ihn nicht los. Doch der Wunsch seines Königs ist ihm Befehl und schon braten die Fische knuspernd in der Pfanne.

Aus meinem Buch BEONIMUS RABENBEIN – Klatsch & Tratsch

Waldemar von Piepschnabel-Eschenwalde

Der Samstagnachmittag ist für Waldemar Piepschnabel-Eschenwalde, der Tag an dem er sich im schönsten Nachmittagsausgehrock und gestylten Kopffedern in der Stadt zeigt. Er ist einer der Reichsten der Gemeinde, besitzt eine große Voliere samt angrenzendem Wald in der Vogelgemeinde Eschenwalde und bekleidet auch das ehrenvolle Amt des Obervogelmeisters. So spaziert er stolz mit seinem Gehstock die Flaniermeile entlang. Wie jeden Samstagnachmittag tummelt sich hier die Schickeria von Eschenwalde und Umgebung. Es ist ein sonniger Nachmittag und alle Lokale sind voll besetzt. Die Herren sitzen, sich über die neuesten Flugmodelle unterhaltend, bei einem Glas Hopfen- oder Traubensaft, während die Vogelmädchen die neuesten Modellkleider und -schuhe in den Boutiquen unter Augenschein nehmen. Lautes ausgelassenes Gehüpfe, Gefliege und Gezwitschere. Mitten durch das Getümmel stolziert erhobenen Hauptes Waldemar Piepschnabel-Eschenwalde. Herr Waldemar ist jedoch nicht nur um des Gesehen Werdens in die Stadt gekommen, er ist auch schon des längeren auf Brautschau. In seiner Voliere fühlt er sich trotz Personal etwas einsam. Weibliches Gezwitschere fehlt ihm und er findet seine Voliere viel zu aufgeräumt, nichts steht herum, keine Kräuterschale hier und kein getrocknetes Blumensträußchen dort. Auch in seinem Vogelband ist noch viel Platz für Tübchen, Cremedöschen, Duftfläschchen und rosa Federfärbepasta. Während er in Gedanken versunken bei einem Blumengeschäft in die Auslage starrt, sieht er in der Spiegelung des Fensterglases ein Mädchen mit wunderbaren rosa Brustfedern und der tollsten Gimpelfigur vorbeigehen. Er ist wie paralysiert. Das ist sie, denkt er sich, das ist meine Traumfrau. Er eilt in das Blumengeschäft und holt eine Duftbecherglockenblume, eine sehr seltene Wiesenblume, die hinter dem Geschäft von Herrn Blumenkorn gezüchtet wird. Das hübsche Gimpelmädchen hat sich mittlerweile im Eissalon „Naschamsel“ niedergelassen und schnäbelt an einem Erdbeereis. Er verneigt sich kurz, ihr die Blume hinreichend, und bittet Platz nehmen zu dürfen. Josefine Freifräulein von der Vogelwiese, so heißt das Gimpelmädchen, ist sehr erstaunt über so viel Etikette, zu viel denkt sie, aber nickt ihm freundlich auffordernd zu. Josy, so nennen sie alle, stammt aus einem verarmten Adelszweig. Die Familie „von der Vogelwiese“ besitzt nur noch den Namen, ansonsten wohnen sie in einer Vogelkolonie, die an die große Blumenwiese angrenzt. Beide kommen ins Gespräch und Waldemar Piepschnabel-Eschenwalde ist äußerst erfreut über die Zwitscherfreude und ihre ungezwungene Art und Wortwahl. Während Josy ohne Punkt und Komma ihm sein Leben vorzwitschert, sieht Herr Waldemar sie schon vor seinem geistigen Auge seine Voliere mit rosaroten Schälchen, Blümchen und Pölsterchen schmücken und mit ihrem lustigen Gezwitschere über die neueste Mode seinem Personal, das die Ruhe gewohnt war, auf die Nerven gehen.

Aus meinem Buch BEONIMUS RABENBEIN „Seemannsgarn & Küchenlatein“

Die Möwe Arndt

In dem schönen Nordseestädtchen Lübeck wohnt Arndt. Er ist Innenarchitekt und nennt sich Monsieur Arndt le Ensemblier, weil sich das viel stylischer anhört und bei seinen Kunden, die meisten gehören zu der oberen Möwengesellschaft, für Anerkennung und Respekt sorgt. Sein Credo, Farben sind nur Ablenkung vom Wesentlichen. So richtet er die Appartements hautsächlich in schwarz und weiß ein. Nur manchmal lässt er sich dazu hinreißen, wenn es architektonisch nicht anders möglich ist, auch einmal grau zu verwenden. Er hat viele Kunden, denn schwarzweiß liegt derzeit im Trend und gilt als das absolute Must in der High Society. Wer etwas von sich hält, geht mit seinen Wünschen zu Arndt. Arndt selbst stammt aus einer Großfamilie, in der es immer sehr turbulent zuging. Er hat fünf Geschwister, alles Mädchen die, so wie halt Mädchen einfach sind, sich gerne mit den buntesten Farben umgeben. Ganz besonders rosa war in ihrer Behausung ganz stark vertreten. Darum ist für Arndt die Farbe rosa ein absoluter Gräuel. Selbst beim Essen verzichtet er auf Farbe. Am Liebsten isst er Tintenfischlinguine mit Sahnesauce, darüber etwas Parmesan. Wenn er Obst isst, besorgt er sich entweder Liechti, oder geschälten Apfel und Birne. Er verwendet nur Weißbrötchen, auch wenn sie nicht wirklich weiß sind, aber über diesen Makel sieht er hinweg, Hauptsache sie heißen so. Er badet gerne im Meer, um sich anschließend von der Sonne trocknen zu lassen, denn Salz und Sonne bleichen und er will, dass sein Gefieder ganz weiß ist. Seine Beine und Krallen pflegt er mehrmals täglich mit Tintenfischsalbe, um sie schwärzer und glänzender aussehen zu lassen. Sein Appartement ist selbstverständlich nur in Schwarz und Weiß gehalten. Er bedauert es sehr, dass er nicht in Florida leben kann, denn in Sarasota, das hat er gelesen, gibt es absolut weißen Sand. Der soll so weiß sein, dass er auch bei der ärgsten Hitze sich immer noch kühl anfühlt. Manchmal hadert er sehr mit seinem Schicksal hier in Lübeck aus dem Ei geschlüpft zu sein. Natürlich trägt er ständig eine ganz dunkle Sonnenbrille, auch des Nachts, denn die Farben würden sonst sein stylisches Auge beleidigen. Manchmal, wenn ihm sein Essen sozusagen beim Schnabel heraushängt, denn so viele Speisen in Schwarzweiß gibt es dann doch nicht, wagt er sich in ein ganz besonderes Lokal, denn dort isst man im Dunklen. Wenn er es nicht sehen muss, den Kompromiss geht er ein, schmecken ihm die Speisen vorzüglich. Heute ist wieder so ein Tag, an dem ihm kochtechnisch nichts mehr Kreatives einfällt. Er beschließt das Lokal „Dunkelkammer“ aufzusuchen, um dort das Abendmahl einzunehmen. Dort trifft sich auch die High Society von Lübeck und Umgebung und vielleicht kann er da noch nebenbei ein paar Geschäfte lukrieren. Er cremt seine Beine und Krallen mit Tintenfischcreme, setzt seine Sonnenbrille auf und macht sich auf den Weg. Schon beim Betreten des Lokals fühlt er sich ganz in seinem Element, endlich keine Farben mehr. Er wird von einer freundlichen Bedienung zum Tisch geführt, an dem offensichtlich schon eine weitere Dunkelesserin sitzt, denn sie begrüßt ihn mit einem freundlichen „moin, moin“, mit englischem Akzent. Was serviert wird, ist natürlich eine Überraschung und wird nicht mitgeteilt, denn das ist auch der Sinn der Sache. Die freundliche Kellnerin bringt gleich ein Getränk und stellt die Vorspeise ein. Bevor er zu essen beginnt, stellt er sich selbstverständlich, weil es sich so gehört und weil sie möglicherweise an einer Umgestaltung ihres Appartements interessiert sein könnte, vor. „Arndt le Ensemblier, Innenarchitekt“. „Abigail, Tourist Guide, Reiseführerin, aus Amerika, antwortet sie in ihrem schönsten deutsch mit amerikanischen Slang“. „Darf ich sie fragen woher genau Sie kommen“, frägt Arndt sie neugierig. „Desota, Floridas Westküste, genau genommen aus Sarasota“. Fast wäre Arndt vom Stuhl gefallen, als er das hört und um nicht die Kontenance zu verlieren, trinkt er schnell einen Schluck. Man kann sich vorstellen, dass Arndt sehr viele Fragen hatte und der Abend für ihn und offensichtlich auch für Abigail, ein sehr Gelungener war. Sie haben sich ausgemacht genau in einem Monat, denn da würde sie wieder mit einer Reisegruppe auf Nordseetour sein und in Lübeck Zwischenstation machen, sich wieder hier in der „Dunkelkammer“ zu treffen. Dieser Monat war für Arndt gefühlt viel länger als die anderen Monate zuvor. Wer ist dieses Mädchen aus Sarasota mit der wunderbaren Stimme, diese Frage ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Endlich, der Monat ist vorbei und der besagte Abend steht vor der Tür. Bereits am Nachmittag hat er ein ausgiebiges Meeressonnenbad genommen und seine Beine und Krallen noch sorgfältiger eingecremt als sonst. Er kann es kaum erwarten bis es Abend wird. Nervös stolziert er in seinem Appartement hin und her, betrachtet sich im Spiegel, zupft mal hier und mal da an seinen Federn und probiert jede Sonnenbrille seiner Sonnenbrillenkollektion. Endlich ist es Abend, ein kurzer Blick in den Spiegel und los geht’s. Die Kellnerin führt ihn zum Tisch, den sie bereits vor einem Monat reserviert hatten. „Moin, moin, Arndt“. Da ist sie wieder, die wundervolle Stimme des wundervollsten Mädchens aus Sarasota, denkt sich Arndt und sein Möwenherz fängt an Kapriolen zu schlagen. Der Abend war, wie nicht anders zu erwarten, traumhaft und da Abigail das offensichtlich auch so empfand, war sie einem weiteren Treffen nicht abgeneigt, denn Arndt hat sie für den kommenden Abend zu sich nach Hause eingeladen. Er würde kochen, etwas ganz Exquisites, hatte er ihr versprochen. Den nächsten Tag verbrachte Arndt mit polieren seiner Wohnung und sich selbst. Mit Kochvorbereitungen, natürlich wird es seine Lieblingsspeise geben, Tintenfischlinguine mit Rahmsauce und zur Feier des Tages, mit Champignontopping und einer Prise Parmesan. Als Vorspeise frische Austern und als Nachspeise Schokoladenmousse aus der dunkelsten Schokolade die er bekommen konnte. Als Tischdekoration hat er noch schnell vom Markt schwarze und weiße Stockrosen besorgt und fein säuberlich in eine weiße Vase drapiert, die er gerade noch auf seinen schwarzen Granittisch stellen konnte, als es auch schon an der Tür klopft. Nervös setzt er seine stylishste Sonnenbrille auf, blickt kurz in den Spiegel und öffnet zaghaft die Tür. „Moin, moin Arndt, ich freue mich dich zu sehen“, englischt freudig Abigail und streckt ihm einen Strauß rosa Pfingstrosen entgegen. Gut, dass Arndt eine Sonnenbrille aufhat, so kann Abigail seinen erstaunten Blick nicht sehen. Freudig geht sie hinein und umarmt ihn mit einem Küsschen rechts und einem Küsschen links. Arndt aus seiner Starre erwacht hilft ihr, immer noch paralysiert von ihrem Anblick, aus ihrem rosa Mantel und hängt ihn an seine schwarze Garderobe. Er hat mit vielem gerechnet, aber mit einer Rosalöfflerin nicht, obwohl er weiß, dass Rosalöffler in Florida leben. „Du lebst aber ganz schön reduziert“, meint sie nur kurz. Arndt bittet sie Platz zu nehmen, schenkt ihr ein Glas Gänseblümchenwein ein und verschwindet mit den Worten „komme gleich“ in der Küche. Abwesend nimmt er eine schwarze Vase, gibt die Pfingstrosen hinein und stellt sie anschließend auf den Tisch neben sein schwarzweißes Arrangement. Er holt die vorbereiteten Austern aus der Küche, ein kleines Kännchen Zitronensaft, den er sich hatte frisch pressen lassen, um nicht von der Farbe Gelb belästigt zu werden, und bringt alles in sein Esszimmer. Komisch, dieses Rosa, aber irgendwie passt es als Farbtupfer gar nicht so schlecht in den Raum, denkt er sich noch als Abigail schon beginnt ihm munter von ihrem Tag mit der Reisegruppe zu erzählen. Sie unterhalten sich, wie die beiden Abende zuvor, köstlich und Arndt vergisst ganz, dass er rosa eigentlich gar nicht mag, denn Abigail mag er sehr.