Aus meinem Buch BEONIMUS RABENBEIN – Klatsch & Tratsch

Waldemar von Piepschnabel-Eschenwalde

Der Samstagnachmittag ist für Waldemar Piepschnabel-Eschenwalde, der Tag an dem er sich im schönsten Nachmittagsausgehrock und gestylten Kopffedern in der Stadt zeigt. Er ist einer der Reichsten der Gemeinde, besitzt eine große Voliere samt angrenzendem Wald in der Vogelgemeinde Eschenwalde und bekleidet auch das ehrenvolle Amt des Obervogelmeisters. So spaziert er stolz mit seinem Gehstock die Flaniermeile entlang. Wie jeden Samstagnachmittag tummelt sich hier die Schickeria von Eschenwalde und Umgebung. Es ist ein sonniger Nachmittag und alle Lokale sind voll besetzt. Die Herren sitzen, sich über die neuesten Flugmodelle unterhaltend, bei einem Glas Hopfen- oder Traubensaft, während die Vogelmädchen die neuesten Modellkleider und -schuhe in den Boutiquen unter Augenschein nehmen. Lautes ausgelassenes Gehüpfe, Gefliege und Gezwitschere. Mitten durch das Getümmel stolziert erhobenen Hauptes Waldemar Piepschnabel-Eschenwalde. Herr Waldemar ist jedoch nicht nur um des Gesehen Werdens in die Stadt gekommen, er ist auch schon des längeren auf Brautschau. In seiner Voliere fühlt er sich trotz Personal etwas einsam. Weibliches Gezwitschere fehlt ihm und er findet seine Voliere viel zu aufgeräumt, nichts steht herum, keine Kräuterschale hier und kein getrocknetes Blumensträußchen dort. Auch in seinem Vogelband ist noch viel Platz für Tübchen, Cremedöschen, Duftfläschchen und rosa Federfärbepasta. Während er in Gedanken versunken bei einem Blumengeschäft in die Auslage starrt, sieht er in der Spiegelung des Fensterglases ein Mädchen mit wunderbaren rosa Brustfedern und der tollsten Gimpelfigur vorbeigehen. Er ist wie paralysiert. Das ist sie, denkt er sich, das ist meine Traumfrau. Er eilt in das Blumengeschäft und holt eine Duftbecherglockenblume, eine sehr seltene Wiesenblume, die hinter dem Geschäft von Herrn Blumenkorn gezüchtet wird. Das hübsche Gimpelmädchen hat sich mittlerweile im Eissalon „Naschamsel“ niedergelassen und schnäbelt an einem Erdbeereis. Er verneigt sich kurz, ihr die Blume hinreichend, und bittet Platz nehmen zu dürfen. Josefine Freifräulein von der Vogelwiese, so heißt das Gimpelmädchen, ist sehr erstaunt über so viel Etikette, zu viel denkt sie, aber nickt ihm freundlich auffordernd zu. Josy, so nennen sie alle, stammt aus einem verarmten Adelszweig. Die Familie „von der Vogelwiese“ besitzt nur noch den Namen, ansonsten wohnen sie in einer Vogelkolonie, die an die große Blumenwiese angrenzt. Beide kommen ins Gespräch und Waldemar Piepschnabel-Eschenwalde ist äußerst erfreut über die Zwitscherfreude und ihre ungezwungene Art und Wortwahl. Während Josy ohne Punkt und Komma ihm sein Leben vorzwitschert, sieht Herr Waldemar sie schon vor seinem geistigen Auge seine Voliere mit rosaroten Schälchen, Blümchen und Pölsterchen schmücken und mit ihrem lustigen Gezwitschere über die neueste Mode seinem Personal, das die Ruhe gewohnt war, auf die Nerven gehen.

Autor: admin

geboren in Hallein/Salzburg, lebt und arbeitet derzeit in Linz. Malerei, Skulpturen, Ornamentarbeiten, Bücher und Kurzgeschichten

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